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Christof Totschnig
"Es ist gut möglich, dass Sie weitgehend recht haben"
Erfahrungen mit dem österreichischen Literaturbetrieb
Erschienen: Juni 2001
Empfohlene Zitierweise:

Christof Totschnig: "Es ist gut möglich, dass Sie weitgehend recht haben". Erfahrungen mit dem österreichischen Literaturbetrieb (Juni 2001), in: g-daf-es <http://www.g-daf-es.net/lesen_und_sehen/texte/ct1.htm>.

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter die URL-Angabe in runde Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.

"Jornadas sobre literatura austríaca actual" sollten es werden und nicht mehr. Studenten und Dozenten des Germanistikinstituts der Universität Salamanca sollten zwei Vertreter der österreichischen Gegenwartsliteratur bei Lesungen und Diskussionen kennen lernen können. Den Autoren wiederum sollte ein Rahmenprogramm mit Streifzügen durch die Tapas-Lokale der Stadt und die pittoresken Dörfer der Sierra geboten werden. Wir Organisatoren, Michael Dobstadt, Patricia Cifre und ich, konnten nicht ahnen, dass diese kleine spanische Veranstaltung uns in der Folge die Abgründe und Untiefen des österreichischen Literaturbetriebs freilegen würde. Groß war dementsprechend anfänglich unser Staunen und ist nun für mich die Notwendigkeit, auf die beredte Arbeitsverweigerung von seiten quasi beamteter Agenten des literarischen Diskurses in Österreich mit eigener Rede zu antworten. Ob es für diese wohl einen öffentlichen Ort gibt?

Die Einladung, im Mai nach Spanien zu kommen, nahmen die Autorin und der Autor im Herbst letzten Jahres umgehend an. Die Frau, deren Werk wir noch nicht kannten, war uns von der Literaturkritik als antifaschistische Moralistin, als Mahnerin wider das Vergessen der Opfer (des Patriarchats wie der Shoa) empfohlen worden. Den Mann kannten wir in erster Linie als politischen Publizisten, der seinen Lesern zu "Haider" und "Wende" recht unerhörte, anti-apokalyptische Analysen anbot. Als Vorbereitung auf die Begegnung mit den beiden organisierten wir hier eine tertulia, einen Lese- und Gesprächskreis zu ihren Texten.

In den Gesprächsrunden, die dem Werk der Autorin gewidmet waren, kreiste unsere Diskussion bald immer mehr um Fragwürdiges, Spekulatives, rundweg Misslungenes, an dem wir die literarische Qualität und den ethischen Anspruch der Texte zu Schanden gehen sahen. Im Mai hatten wir dann die Autorin zu Gast - der Autor war uns leider in den Monaten zuvor abhanden gekommen - und die persönliche Begegnung mit ihr bestätigte auf brutale Art unsere Vorbehalte gegenüber ihren Texten. Mit dem Treffen, das wir Organisatoren als literarisches, intellektuelles und zwischenmenschliches Fiasko erlebten, fiel die Nachricht zusammen, dass man der Autorin in Österreich einen recht wichtigen Literaturpreis - nicht den ersten - zugesprochen hat. Angesichts des Abgrunds zwischen eigenem Lesen und Erleben und der öffentlichen Meinung konnte man irre werden, oder man versuchte, seine dissidente Meinung auch öffentlich werden zu lassen. Letzteren Weg wählte mein Kollege Michael Dobstadt, fasste seine und unsere Kritik in einem Kommentar zum Werk der Vielprämierten zusammen und schickte diesen an zwei bekannte österreichische Literaturzeitschriften. Deren Herausgeber sagten "Nein". Wie und warum sie das taten, eröffnete Einsichten in den österreichischen Literaturbetrieb, an denen man wiederum irre werden konnte, oder, ja oder.

"Es ist gut möglich, dass Sie weitgehend recht haben", schrieb der eine Herausgeber. Dennoch sei es ihm unmöglich, den Kommentar in "seiner" Zeitschrift abzudrucken. Grund: Er sei der Autorin seit Jahren kollegial verbunden und die Kritik könnte die Kritisierte kränken. Dem Schreiben war die Zerrissenheit seines Verfassers zwischen Rücksichtnahme auf die Kollegin und dem eigenen Rollenverständnis als Verantwortlicher einer Zeitschrift, die sich auch "Kritik" zur Aufgabe macht, durchaus anzumerken, und dafür fand er auch unser Verständnis. Dass er sich fürs Mauern entschied und, zum Beispiel, nicht auf den Ausweg verfiel, auf die massive Kritik an den Texten der Autorin durch einen jener Mitarbeiter der Zeitschrift kritisch antworten zu lassen, die positive Besprechungen zum Œuvre der Schriftstellerin verfasst hatten, ließ uns den Kopf schütteln.

Mehr als nur Kopfschütteln löste bei mir als erfahrenem Österreicher das Schreiben des zweiten Herausgebers aus. Zuerst verbat man sich das Nachfragen nach dem Schicksal des Beitrags, den mein Kollege per e-mail an die Redaktion geschickt hatte - in einem Tonfall, der allein schon an eine Amtsstube gemahnte, in die man sich zur Unzeit mit ungehörigem Ansinnen vorgewagt hat. Es folgte der Bescheid, per e-mail zugesandte Texte würden nicht bevorzugt behandelt, was mich unweigerlich an einen Beamten in einer "Einlaufstelle" denken ließ, dessen Gerechtigkeitssinn gegenüber den althergebrachten Drucksorten eingehende Mails für ein paar Tage in eine Warteschleife schickt. Dann kam der Satz: "Ich finde Ihre Polemik zwar nicht besonders originell, aber auch nicht uninteressant". Da hatte ich ihn wieder, diesen gemeinen Alltagston, von dem mich das Leben in Spanien entwöhnt hatte. Da wurde wieder nach der Devise verfahren: "Zuerst mal niederschießen, charmant sein kann man dann immer noch". Nach diesem Präludium konnte es mich nicht mehr überraschen, dass der Herausgeber sich im zweiten Teil seines Schreibens in Spitzfindigkeiten zu einer Marginalie des Textes verlor und es damit gut sein ließ als Begründung für das Diktum: "An einem Abdruck Ihres Textes in der vorliegenden Form bin ich nicht interessiert." In einem zweiten Mail nachgereichte, die Kernaussagen des Textes wiederum tunlichst ignorierende "Einwände" machten die Sache nicht besser, eher schlimmer.

Anfang Mai fanden in Salamanca "Jornadas sobre literatura austríaca actual" statt. Im fernen Kastilien regte sich (österreichisches) literarisches Leben. Spanier, Deutsche und Österreicher kamen über die Texte zweier österreichischer Autoren ins Gespräch. Aus diesem Diskussionszusammenhang entstand ein "interessanter" (Herausgeber 1) bzw. "nicht uninteressanter" (Herausgeber 2) Text. Die österreichische literarische Öffentlichkeit braucht das aber nicht weiter zu interessieren, meinen die Verantwortlichen von zwei Zeitschriften, die - so reimte ich mir das zusammen - mit öffentlichem Geld Raum für literarisches Leben, Kritik und Streit schaffen sollen. Dank dem neuen Medium kann der Kommentar von Michael Dobstadt zum Werk von Elisabeth Reichart, den der eine aus "Feigheit" (so seine Worte) und der andere aus opak gebliebenen Gründen - unwägbar sind die Ratschlüsse der Bürokratie - nicht veröffentlichen wollten, nun doch Leser und Kritiker finden. So haben die befremdenden Erfahrungen mit Agenten der literarischen Öffentlichkeit in Österreich für uns doch noch 'was Gutes an sich gehabt - no hay mal que por bien no venga - und uns mit den vom Internet eröffneten Möglichkeiten alternativer Öffentlichkeit vertraut gemacht.


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letzte Aktualisierung: 8. März 2004
actualizada: 8 de marzo de 2004