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Sie sind hier: Kongress "Bilanz und Perspektiven der Germanistik in Spanien", Salamanca 2002



 
António Sousa Ribeiro, Universidade de Coimbra
Die Aufgaben der Germanistik und die Reform der Studienpläne
Der folgende Text ist am 29. Mai 2003 im Rahmen des 1. iberischen Lektorentreffens des DAAD in Coimbra vorgetragen worden. Er gehört in den Zusammenhang der in Salamanca im Oktober 2002 initiierten Diskussion über die Zukunft der Germanistik in Spanien und Portugal und ist ein Debattenbeitrag aus portugiesischer Sicht. Er wird in seiner ursprünglichen Vortragsform veröffentlicht. Die Rechte verbleiben beim Autor.
Erschienen: 3. Juli 2003
Empfohlene Zitierweise:

António Sousa Ribeiro: Die Aufgaben der Germanistik und die Reform der Studienpläne (3. Juli 2003), in: g-daf-es <http://www.g-daf-es.net/salamanca_2002/ribeiro.htm>.

Bitte setzen Sie beim Zitieren dieses Beitrags hinter die URL-Angabe in runde Klammern das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse.

Ich bedanke mich sehr für die freundliche Einladung der Organisatoren dieses 1. Iberischen DAAD-Lektorentreffens, dessen Teilnehmer ich sehr herzlich begrüßen möchte. Beim Lesen des Programms konnte ich feststellen, dass Sprachfragen und Fragen der Sprachvermittlung an den portugiesischen und spanischen Universitäten naturgemäß den Hauptschwerpunkt bilden. Obwohl ich mein Mitspracherecht auch in diesen Fragen mir nicht wegnehmen lasse, maße ich mir nicht an, Wesentliches zum Thema beitragen zu können. Ich werde mich demnach - ich glaube, das haben die Organisatoren auch von mir erwartet - auf das beschränken, was ich eigentlich kann. Mein Referat möchte, wie im Titel angedeutet, einige Reflexionen über die Lage des Faches beisteuern, die vielleicht zur Diskussion anregen, und zugleich die wichtigsten Informationen über die Reform der Studienpläne an unserer Fakultät vermitteln (diese Reform wird, wie wir meinen, mit großer Verspätung, im nächsten Studienjahr in Kraft treten).

Das Studium der deutschen Sprache - wie auch der übrigen Fremdsprachen - an den Philosophischen Fakultäten hat einen etwas zweischneidigen Charakter. Zum einen soll es natürlich die StudentInnen dazu befähigen, sich der Fremdsprache als eines Werkzeugs zu bemächtigen: sie sollen dazu fähig sein, sich in bestimmten pragmatischen Zusammenhängen zu orientieren, einen sozusagen "praktischen" Gebrauch von der Sprache zu machen. Dies klingt z.B. im Ausdruck "angewandte ausländische Sprachen" nach, der an einigen unserer Universitäten als Studienrichtungsbezeichnung verwendet wird. Zum anderen aber, und dies ist für mich wesentlich, sollen die StudentInnen auch die Selbstreflexivität und Selbstreferentialität von Sprache erkennen lernen, d.h. Sprachvermittlung darf nicht zu einer bloßen Einübung in den instrumentellen Sprachgebrauch degenerieren. Mit anderen Worten: die Frage - von Karl Kraus verschiedentlich variiert -, ob man die Sprache beherrscht oder von ihr beherrscht wird, muß m.E. beim Sprachstudium immer mitschwingen und in die Reflexion einbezogen werden. Gerade für die Ausbildung von Sprachlehrern scheint mir dies von höchster Wichtigkeit zu sein. Das ist, nebenbei gesagt, in meinen Augen ein Hauptgrund dafür, dass das Studium der Literatur - gerade als höchstes Beispiel von nicht-instrumentellem Sprachgebrauch - in der Sprachausbildung nach wie vor unersetzlich bleibt. Vorausgesetzt, dass das Verhältnis richtig aufgefasst wird: natürlich sind literarische Texte nicht dazu da, um als Übungsmaterial im Sprachunterricht verwendet zu werden, so wie umgekehrt der Zweck des Sprachstudiums sich bei weitem nicht in der Möglichkeit des Zugangs zu literarischen Texten erschöpft.

Was ich mit diesen Bemerkungen betonen möchte, ist vor allem, dass man die einfache Tatsache nicht aus den Augen lassen soll, dass Deutsch an den Universitäten im Gesamtrahmen der Germanistik eingebettet ist und diesen Rahmen voraussetzt. Die Lage des Faches ist also für die Sprachausbildung keine bloß äußerliche Tatsache, sondern ein Umstand, der den Kern der Probleme berührt, die uns alle angehen.

Wie sieht nun diese Lage aus? Seit Jahren oder, besser gesagt, seit Jahrzehnten, geht die Rede von der Krise der Germanistik um. Ich möchte mich hier nicht über dieses Thema ausbreiten, obwohl ich den Befund nur bestätigen kann: Jawohl, es gibt sie, die Krise der Germanistik. Dass Germanistik seit Jahrzehnten eine "verunsicherte Disziplin" ist, die unter Legitimationsdruck steht, dürfte inzwischen kein Geheimnis mehr sein. Woran besteht nun diese "Krise"? (Ich beziehe mich im Folgenden an erster Stelle auf den portugiesischen Kontext, obwohl manches wohl von allgemeiner Gültigkeit sein dürfte.)

Es handelt sich zunächst einmal um die Krise der vermittelnden Institution Universität und insbesondere der Philosophischen Fakultäten. Die Unübersichtlichkeit des Faches ist von der Unübersichtlichkeit der vermittelnden Institution nicht zu trennen. Die Philosophischen Fakultäten sind, was ihren inneren Aufbau und ihre Zielsetzungen betrifft, zum Teil noch ein Geschöpf des 19. Jahrhunderts als Ort der damals etablierten Nationalphilologien. Das heißt unter anderem, dass wesentliche Disziplinen wie die Anthropologie oder die Sozialwissenschaften nicht vertreten sind (in dieser Hinsicht ist das Lissaboner Modell der Universidade Nova mit ihrer Fakultät für Sozial- und Humanwissenschaften zweifellos viel sinnvoller). Zudem haben sich diese Fakultäten traditionsgemäß vor allem als Institutionen der Lehrerausbildung begriffen. Mit den zur Zeit schwindenden Berufschancen an den Schulen schrumpfen auch unsere Studentenzahlen vor allem im Bereich der sogenannten "Modernen Sprachen und Literaturen". Am härtesten betroffen sind, wie wir wissen, die Fächer Französisch und Deutsch. Wie eine Analyse der Jahresstatistiken belegt, handelt es sich, nebenbei gesagt, um keine lineare, sondern um eine sprunghafte Entwicklung, was für das nächste Studienjahr eigentlich Schlimmes erwarten läßt. Dass wir in dieser Hinsicht keinen Grund zum Optimismus haben, läßt den Reformbedarf unserer Fakultäten noch dringender erscheinen.

Die andere Seite der Krise ist, wenn man so will, die epistemologische. Ich hatte versprochen, mich über dieses Thema nicht auszubreiten. Ich werde mein Versprechen halten, erlaube mir aber ein paar knappe, thesenartige Bemerkungen:

1. Der seit Jahrzehnten permanente Krisenzustand hängt mit der prinzipiellen Selbstreflexivität des Faches zusammen und wirkt sich insofern produktiv aus.

2. Selbstreflexivität will nicht heißen, dass eine Reform und Neuorientierung des Faches von innen heraus wird stattfinden können. Im Gegenteil, sie hängt mit der Reorientierung der sogenannten Geisteswissenschaften untrennbar zusammen.

3. Die gängige Antwort auf die Notwendigkeit dieser Reorientierung drückt sich in der Form der Kulturwissenschaften aus. Diese Antwort gilt es in ihrem universellen Anspruch kritisch zu befragen. Mit anderen Worten: Die Definition als Kulturwissenschaft und die damit einhergehende Verwischung des feinen Unterschieds zwischen Kunst und Kultur ist nicht die Lösung, sondern ein weiterer Ausdruck der Krise der Germanistik. Die Kulturwissenschaften dürfen nicht als das Telos der Literaturwissenschaft aufgefasst werden, obwohl sie eine wesentliche neue Komponente darstellen, die in das germanistische Studium unbedingt einzubeziehen ist.

4. Transdisziplinarität will nicht heißen, dass die Grenzen zwischen den Einzeldisziplinen verschwinden sollen, sondern dass diese nicht mehr nach Fachkompetenzen, sondern in Problemzusammenhängen denken lernen. Kritisches, innovatives Denken erfolgt nicht über die Grenzen hinaus, sondern an der Grenze.

Die Aufgabe besteht also darin, die vielbeschworene Krise auf allen Ebenen - auf der theoretisch-epistemologischen wie auf der praktisch-institutionellen - als Chance zur Neuorientierung zu begreifen. Eine solche Neuorientierung muss aber darauf bedacht sein, Auswege zu vermeiden, die am Ende sich unvermeidlich als Sackgassen erweisen werden. Eine gängige voreilige Antwort hängt mit der ständigen lauten Forderung nach einem "berufsbezogenen Studium" zusammen. Man kann an den portugiesischen Universitäten auch in den Humanwissenschaften in der Tat beobachten, wie neue Studienrichtungen entstehen, die oft eine zu enge Zielsetzung und eine kurzatmige Orientierung haben und die deshalb im Jargon als "von enger Bandbreite" bezeichnet werden. Der Grund für diese Neubildungen liegt in der Absicht, einen direkteren Weg vom Studium zum Arbeitsmarkt anzubahnen. Dies ist in meinen Augen ein bloßer Trug, der, genauer betrachtet, im offenen Widerspruch zum Bildungsauftrag der Universität steht. In ihrer grundlegenden, 1991 vorgelegten, aber noch heute höchst aktuellen Denkschrift Geisteswissenschaften Heute haben Frühwald, Jauß, Koselleck und andere Mitglieder der Konstanzer Arbeitsgruppe auf der wesentlichen Unterscheidung zwischen "Verfügungswissen" und "Orientierungswissen" scharf bestanden und das Verwischen dieser Unterscheidung in der Entwicklung von Wissenschaft und Bildung beklagt. In der Tat: Eine Universität, die, zumal im Bereich der Humanwissenschaften, ihre Aufgabe in der bloßen Vermittlung von "Verfügungswissen" sieht, hat m. E. das Recht verwirkt, sich überhaupt Universität zu nennen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass ein höchst flexibler und wandelbarer Arbeitsmarkt ein bloß technisches Wissen, ein "Verfügungswissen" eben, sehr schnell obsolet und unbrauchbar macht. Der Orientierung am Arbeitsmarkt, deren Notwendigkeit nicht ernsthaft bestritten werden kann, scheint also besser gedient, wenn sie sich auf ein "Orientierungswissen" bezieht, was eigentlich nicht viel mehr bedeutet als das Grundwissen, das zum wesentlichsten Kern der Humanwissenschaften gehört. Unter anderem hat der französische Philosoph Michel Serres wiederholt darauf hingewiesen, dass heutzutage der wichtigste Gott nicht Prometheus, der Überbringer des Feuers und der Schutzherr der unbeschränkten Naturbeherrschung, sondern Hermes, der Gott der Kommunikation, ist. Mit anderen Worten: Sprache, Kultur und Kommunikation, eben der Grundkern der Humanwissenschaften, sind in der sogenannten Wissensgesellschaft zu entscheidenden Produktionsmitteln geworden. Auch insofern gewinnen die "Humanities" eine neue Zentralstellung, die es zu unterstreichen gilt. Diese Stellung beruht aber nicht auf dem Bildungsprivileg, sondern auf der flexiblen Fähigkeit, den gewandelten sozio-kulturellen Bedingungen Rechnung zu tragen. Die traditionellen Philosophischen Fakultäten behaupten ihre ungebrochene soziale Relevanz, indem sie jene Fähigkeit entwickeln. Und zu diesem Zweck scheint eine Ausrüstung "mit Kafka und Kant" in der Tat unentbehrlich.

Eine traditionelle Auffassung von Germanistik oder von den Geisteswissenschaften im allgemeinen ist, wie mir scheint, mit diesen und ähnlichen Fragen hoffnungslos überfordert. Nicht aus dem Innern eines jeden Faches heraus ist Reform möglich, sondern im ständigen fächerübergreifenden Dialog. Die Reform der Studienpläne an unserer Fakultät, über die ich mit besonderem Bezug auf das Germanistik-Studium in der Folge kurz berichten möchte, ist dementsprechend aus einem ziemlich langen Diskussionsprozess auf der Ebene der ganzen Fakultät entstanden. Wir waren, das muss man auch sagen, nicht die ersten. Andere Fakultäten und andere Germanistik-Abteilungen waren vorausgegangen und unsere Lösungen unterscheiden sich in vielen Punkten nicht von denen, die auch anderswo in Anwendung kamen. Ich werde mich aber auf unser Fallbeispiel konzentrieren - die hier anwesenden Vertreter der jeweiligen Fakultäten werden, wenn sie wollen, sicher auch die Gelegenheit haben, über ihre eigenen Erfahrungen zu berichten.

Besonders wichtig für unseren Diskussionsprozeß war der gewählte Ausgangspunkt. Nicht die Inhalte der jeweiligen Fächer oder Studienrichtungen standen zunächst im Vordergrund, sondern man versuchte zuerst, sich darüber zu verständigen, was die Hauptaufgaben für die gesamte Fakultät sind und welche die Schlüsselqualifikationen wären, deren Vermittlung zu diesen Hauptaufgaben gehört. Unter Schlüsselqualifikationen versteht man bekanntlich fachübergreifende methodische, soziale und kommunikative Fähigkeiten, die sich unter anderem in der Fähigkeit zu interkulturellem Verstehen ausdrücken. Leute ausbilden, die in einem tiefen Sinne lesen und schreiben können, denen Fremdheit und "Unverständlichkeit" nicht etwas Auszutilgendes, sondern Momente eines produktiven - und friedlichen - Spannungsverhältnisses sind - damit wäre in meinen Augen das vornehmste Ziel des Studiums der Humanwissenschaften ausgedrückt. Gerade ein solches Ausbildungsziel wird bessere Chancen auf dem heutigen, höchst flexiblen Arbeitsmarkt garantieren als das vielbeschworene "berufsbezogene Studium".

Eine - selbstverständlich offene - Liste der angestrebten Schlüsselqualifikationen wurde erarbeitet. Zum Teil handelt es sich um scheinbar bescheidene Ansprüche, zum Teil aber auch um recht ehrgeizige - vielleicht zu ehrgeizige - Zielsetzungen. Hier der Hauptteil der Liste, die in unserem "Strategischen Entwicklungsplan" als Ausbildungsziel festgelegt wurde. Schlüsselqualifikationen wären also:

- Eine möglichst entwickelte Fähigkeit zum mündlichen und schriftlichen Ausdruck

- Beherrschung der Techniken des Zugangs zur Information und der Informationsverarbeitung

- Fähigkeit zur Orientierung in fremden Sinnzusammenhängen und in komplexen Kommunikationsprozessen

- Die Fähigkeit zum systematischen Herangehen an komplexe Aufgaben unter Anleitung eines adäquaten konzeptuellen Rahmens

- Umfassende Kenntnisse nicht nur in dem jeweiligen Fach, sondern auch das Universum der Kultur im allgemeinen betreffend

- Sensibilität gegenüber den Fragen der Gegenwart und zugleich Fähigkeit zur historischen Perspektivierung

- Fähigkeit zum globalen Denken; intellektuelle Autonomie und kritischer Geist

- Lust an der Innovation, Fähigkeit zum nichtkonventionellen Fragen und zum Alternativdenken

- Sensibilität gegenüber neuen Facetten der Wirtschaft, d.h. gegenüber sozialen, ökologischen und kulturellen Fragen

- Erfassen des sozialen Wertes der im Bildungsprozess angeeigneten Fähigkeiten

Die Ausbildung solcher Schlüsselqualifikationen als idealtypische Zielsetzungen steht selbstverständlich nicht im Widerspruch zum Fachwissen, das deren Voraussetzung ja bildet. Es sollen keine Fachidioten ausgebildet werden, aber eben auch keine Dilettanten. Dabei ist zu beachten, dass das germanistische Studium, selbst wenn es, wie bei uns, weiterhin acht Semester umfasst, nicht den Ehrgeiz haben darf, Literatur-, Kultur- oder Sprachwissenschaftler - oder auch Sprachlehrer - voll auszubilden. Es begnügt sich damit, möglichst günstige Voraussetzungen zu dieser Ausbildung zu schaffen. Die eigentliche Spezialisierung, hier wie andernorts, muss dem Bereich der Postlizenziatur vorbehalten bleiben.

Die Reformplanungen haben sich gleichzeitig auf drei eng zusammenhängenden Ebenen artikuliert, die auch die Germanistik unmittelbar betreffen:

- Globale Revision der bestehenden Studienpläne auf der Ebene der Lizenziatur

- Schaffung neuer Lizenziaturen, die unter dem folgenden doppelten Blickpunkt sinnvoll erscheinen: Sie schließen bestehende Lücken in unserem Bildungsangebot und sie berühren Bereiche, wo die Fakultät angesammeltes Lehr- und Forschungskapital zur Verfügung hat und die sich damit weiter profilieren können. Ein erster neuer Studiengang in Kunststudien (Theater, Musik und Film) hat im laufenden Studienjahr mit vorerst gutem Erfolg angefangen, ein zweiter, im Bereich des Bibliothekswissens und der Informationswissenschaft, wird voraussichtlich im nächsten Jahr anfangen. Andere neue Studienrichtungen, nämlich zunächst Europäische Studien und die Studienrichtung "Tourismus, Freizeit und Historisches Erbe" sind in einer fortgeschrittenen Planungsphase begriffen.

- Neue Initiativen im Bereich des Postgraduiertenstudiums. Dies bedeutet u.a.: Ausbau der bestehenden Mestrado-Kurse, Schaffung neuer, einjähriger Postgraduiertenkurse ohne Dissertation, mit entsprechend leichteren Zugangsvoraussetzungen, um ein breiteres Publikum zu erreichen; und andere Initiativen, einschließlich natürlich Intensivkurse im Rahmen internationaler Programme wie Erasmus. Eine wichtige Stellung nehmen die Doktoratsprogramme ein, über deren Reglementierung der Wissenschaftsrat der Fakultät gerade berät. Das Postgraduiertenstudium bietet die Möglichkeit zur Spezialisierung in einem bestimmten wissenschaftlichen Bereich und ist zugleich der Ort, wo eine transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bereichen verstärkt möglich sein wird.

Der europäische Zusammenhang wurde nie aus den Augen gelassen. Einige bescheidene Neuerungen, wie z.B. die längst fällige Aufteilung in Semester, haben unter anderem zum Zweck, die internationale Mobilität zu erleichtern. Auch die Übernahme des europäischen Kreditsystems ist im Hinblick auf den im Entstehen begriffenen europäischen Hochschulraum erfolgt. Dabei muss betont werden, dass die berühmte Erklärung von Bologna von uns zwar beachtet, aber nicht wörtlich befolgt wird. Vor allem die Festlegung auf eine achtjährige Ausbildung bis zum abgeschlossenen Doktorat wird von uns wie von vielen anderen europäischen Universitäten als unzureichend verworfen. Allerdings gehört diese Festlegung, wie man weiß, nicht zum eigentlichen Text der Bologna-Erklärung, obwohl sie nur allzuoft mit ihr assoziiert wird.

Ein Hauptziel der Neuerungen war, erhöhte Flexibilität im Aufbau der verschiedenen Studiengänge zu gewährleisten. Die bisherigen Studienpläne sahen nämlich eine ziemliche starre Progression von Jahr zu Jahr vor, mit wenigen Wahlfächern und im Grunde mit genau denselben Fächern für alle StudentInnen. Das neue System ist viel flexibler geworden: Obwohl mit Einschränkungen - man wollte bewusst nicht auf einmal von einem starren, fast schulmäßigen System zu einem ganz offenen übergehen - ist der Spielraum des einzelnen Studenten bzw. der einzelnen Studentin viel breiter geworden: Er oder sie kann je nach Neigung, nach geplanter beruflicher Laufbahn usw. bis zu einem gewissen Grad das eigene Menü zusammenstellen. Dabei sind die ersten zwei Jahre in der jeweiligen Studienrichtung für alle im Großen und Ganzen gleich, aus dem Gedanken heraus, eine gemeinsame stabile Grundlage zu schaffen; danach können in den verschiedenen Studienrichtungen zwei Ausbildungswege verfolgt werden: die Lehrerausbildung oder eine weitere allgemeine Ausbildung. Bei der Lehrerausbildung ist der Studienaufbau wegen bestimmter Auflagen, die vom fast einzigen Arbeitgeber Staat festgesetzt werden, noch leider ziemlich starr strukturiert; dagegen sind die Wahlmöglichkeiten im alternativen Ausbildungsweg nach dem Übergang zum dritten Jahr viel großzügiger - am Ende des Studiums wird in diesem Fall der Prozentsatz an Wahlfächern zwischen 20% und 30% betragen haben. In der Germanistik heißt dies, dass - bei gleichbleibendem Pensum an Sprachunterricht - die StudentInnen die Wahl haben, gleichberechtigt, d.h. ohne jede Hierarchie, Literatur, Linguistik oder Kulturstudien jeweils verstärkt zu belegen und somit die Voraussetzungen zur Spezialisierung in diese oder in jene Richtung zu schaffen.

Die neuen Studienpläne verzichten bewusst auf jeden Anspruch auf Vollständigkeit. D.h. nicht Inhalte sollen vermittelt, sondern Fähigkeiten entwickelt werden. Die erhöhte Flexibilität erlaubt den von mir früher angedeuteten Dialog mit anderen Fächern. Die Identität des Faches wird von diesem Dialog nicht bedroht, sondern eher sichergestellt. Der Dialog wird auf verschiedene Art und Weise hergestellt. Zum einen durch ein größeres Angebot an Wahlfächern, die zum Teil auch bei anderen Studiengängen oder sogar an anderen Fakultäten belegt werden können. Zum anderen, in den ersten Semestern, durch die Einführung von bei uns so genannten "transversalen Wahlfächern". Diese erstrecken sich auf zwei Semester, im ersten oder im zweiten Jahr, und müssen von allen StudentInnen unabhängig von der jeweiligen Studienrichtung belegt werden. Jedes Jahr bietet die Fakultät eine Handvoll solcher Fächer an, die StudentInnen treffen unter dem jeweiligen Angebot ihre Wahl. Die Festlegung dieser Fächer geht von der Voraussetzung aus, dass sie ein Grundwissen vermitteln, das für alle geisteswissenschaftlichen StudentInnen relevant ist und das Schlüsselkompetenzen im Bereich der Humanwissenschaften vermittelt. Um Ihnen einen konkreteren Eindruck zu verschaffen: Im nächsten Studienjahr werden an transversalen Wahlfächern z.B. angeboten: Themen der griechisch-römischen Zivilisation, Themen des griechisch-römischen Denkens, Sprache und Kommunikation, Praxis des Lesens und des Schreibens, Medien und Gesellschaft, Multimediale Projekte, Geschichte der geschriebenen Kulturen, Geographie der portugiesischsprachigen Welt.

Schließlich wird erhöhte Flexibilität auch dadurch gewährleistet, dass neue Fächerkombinationen nach dem Modell Hauptfach / Nebenfach nach und nach möglich sein werden. Bisher ist Deutsch bloß mit einer anderen Sprache und im Verhältnis 50% zu 50% kombinierbar. In Zukunft wird Deutsch Hauptfach sein können (also mit einem Anteil von ungefähr 70%) und mit anderen Fächern wie etwa Geschichte oder Philosophie auch kombiniert werden können.

Die Frage der Internationalisierung sollte vielleicht nicht unerwähnt bleiben - schließlich hängt die verstärkte Attraktivität des Germanistik-Studiums auch von dieser Frage ab. Bei uns in Coimbra ist das Erasmus- bzw. Sokratesprogramm in dieser Hinsicht seit Jahren sehr wichtig gewesen. Wir schicken jährlich um die 50 Studenten an deutschsprachige Universitäten (d.h. grob gesprochen, dass am Ende des Studiums etwa ein Drittel unserer Studenten zwei Semester an einer deutschsprachigen Universität verbracht haben wird). Es gilt natürlich diesen Trend zu intensivieren und die Internationalisierung auch in anderen Bereichen, z.B. dem der bilateralen oder europäischen Doktoratsprogramme usw., verstärkt voranzutreiben.

Jeder umfassende Reformprozess ist naturgemäß mit Risiken verbunden; das größte Risiko in diesem Fall wäre aber m. E. gewesen, alles beim Alten zu lassen. Im Falle der Germanistik erleben wir im Augenblick an allen Universitäten des Landes, nach vielen Jahren, in denen die Studentenzahlen gleichbleibend verhältnismäßig hoch waren, einen rezessiven Trend. In dieser Situation eine defensive Strategie zu verfolgen, wäre verfehlt oder gar selbstmörderisch. Im Gegenteil, der Weg aus der Krise liegt, würde ich sagen, in einer offensiven Haltung, in dem Zugewinn an Attraktivität, der mit der Bereicherung und Auffächerung unseres Angebots und einer flexibleren Orientierung einhergeht.

Ja, und der Sprachunterricht, werden Sie - vielleicht schon etwas ungeduldig - fragen? Nun, in dem integrativen Modell, dessen Konturen ich grob gezeichnet habe, bleibt der Sprachunterricht nicht nur eine unersetzliche Komponente, sondern es öffnen sich für ihn neue Möglichkeiten. Ich habe vorher unerwähnt gelassen, dass eine der neuen Reformmaßnahmen die Herabsetzung der Unterrichtszeit auf jeweils drei Wochenstunden war, mit Ausnahme der Sprachen, die 4 Wochenstunden haben werden. Im Fall des Deutschen, das bisher 6 Stunden in der Woche zur Verfügung hatte, ist dies natürlich zum Teil ein Verlust, der aber im neuen globalen Rahmen unvermeidlich war. (Unvermeidlich deswegen, weil wir bemüht waren, das gegenwärtig viel zu hohe Pensum an Wochenstunden im Ganzen stark herabzusetzen.) Dieser Verlust jedoch, so hoffen wir, wird durch den Gewinn an Autonomie und durch die verstärkte Möglichkeit zur selbstständigen Arbeit für die StudentInnen ausbalanciert werden. Auch der vorgesehene Aufbau eines Sprachzentrums, das unter anderem die Aufgabe zugewiesen bekommen wird, ein zusätzliches Sprachangebot bereitzustellen, wird etwaigen Bedürfnissen in diesem Bereich entsprechen können. Trotz herabgesetzter wöchentlichen Stundenzahl bietet die neue Flexibilität des Studiumsaufbaus, wie gesagt, nicht nur neue Möglichkeiten für den Sprachunterricht (z.B. können Wahlfächer auch in diesem Bereich angeboten werden), sondern man wird auch die oben genannten interdisziplinären Kontakte im Gesamtrahmen der Fakultät durch das tendenziell integrative Modell viel leichter knüpfen können.


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letzte Aktualisierung: 23. Oktober 2005
actualizada: 23 de octubre de 2005